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Natur und Kultur rund um den Apfelwein

Die Landschaft unserer Region ist vom Apfelbaum geprägt. Traditionell werden Obstbäume (neben Äpfeln meist Birnen und Pflaumen) bei uns in Reihen auf so genannten „Streuobstwiesen“ angebaut. Der Name deutet auf die Lage dieser Wiesen „in Streulage“ hin. Die Streuobstwiesen für sich allein sind schon einmal wichtige Biotope, die vielen Insekten und Vögeln Nahrung und Nistmöglichkeit bieten. Die dort wachsenden Äpfel waren in früheren Zeiten wichtige Nahrungsgrundlage für die Menschen im Taunus. Äpfel sind lagerfähig, und manche Sorten (wie zum Beispiel der „Ontario-Apfel“) enthalten ähnlich viel Vitamin C wie Zitronen! So konnte man sich in der „armen Zeit“ vom Winter bis zum Spätfrühling mit wichtigen Nährstoffen versorgen. Die wohl wichtigste Rolle des Apfels im Taunus ist aber eine andere! Im Taunus gediehen früher keine Trauben, Getreide wurde zur Ernährung von Menschen und Vieh gebraucht. Die Produktion von Wein und Bier fiel also weg. Historisch gesehen war also der Apfel die einzige Möglichkeit, in unseren Breiten ein alkoholisches Getränk herzustellen, entsprechend wichtig ist der „Ebbelwoi“ für die regionale Kultur geworden.

Dies wurde im Jahr 2022 von den Vereinten Nationen honoriert, als die „handwerkliche Apfelweinkultur“ in den Status des „immateriellen Kulturerbes“ der UNESCO erhoben wurde. Die Anerkennung umfasst nicht nur das Getränk an sich, sondern auch die „Fertigkeiten um die Bewirtschaftung von Streuobstwiesen mit Wissen und Können der Apfelweinherstellung und dazugehörigen Bräuchen,“ so die deutsche UNESCO-Kommission. 

Jemand, der in unserer Gemeinde viel für eine zeitgemäße Apfelweinkultur getan hat, ist Wulf Schneider aus Oberjosbach. Der pensionierte Ingenieur betreibt unter dem Label „Apfel und Wein“ eine kleine, aber feine Kelterei mit Straußwirtschaft.

Wulf Schneider weiß zu erzählen, dass das Image gerade des hessischen Apfelweines noch vor Kurzem reichlich angestaubt war, die Verkaufszahlen der großen Keltereien über Jahrzehnte rückläufig. Ende der 90er Jahre engagierte sich Schneider bei der Einrichtung der „Streuobstwiesenroute“ von Frankfurt aus in Richtung Taunus. Anlässlich der 800-Jahrfeier 1996 wurde Oberjosbach, wo der Apfelanbau eine sehr lange Tradition hat, an dieses Wegenetz angeschlossen. Auf einer Fachmesse in Asturien, der traditionellen Apfelweinregion im Nordwesten Spaniens, bekam Schneider dann einen Einblick in die vielfältigen Apfelweinkulturen anderer Länder. Inspiration für ihn und weitere Hersteller, aus heimischem Apfelmost ein buchstäblich „erfrischend anderes“ Produkt herzustellen.

Traditioneller hessischer Apfelwein wird nach zwei Grundsätzen hergestellt und behandelt. Der erste Grundsatz lautet „wegstellen und vergessen…“ Nach dem Keltern wird der gepresste Most in Fässer gefüllt und in einem kühlen Keller sich selbst überlassen. Für die Gärung sorgen von Natur aus auf den Schalen der Äpfel vorhandene Hefen. Ist die Gärung abgeschlossen, kann der Apfelwein getrunken werden. Das Endprodukt ist in der Regel trüb und von das Geschmackserlebnis von der Säure des Apfels geprägt. Dies charakterisiert sowohl den deutschen als auch den Spanischen Apfelwein. In anderen Ländern wie Frankreich oder England mag man den Apfelwein süßer und leicht „prickelnd“. Der zweite Grundsatz lautet, dass Apfelwein „seinen Geburtstag nicht erleben darf.“ Der Wein wird also innerhalb eines Jahres konsumiert, dann kommt der neue Jahrgang in die Fässer. Der traditionelle hessische Apfelwein ist also nicht auf längere Lagerung und Reifung ausgelegt.

Im Gegensatz zu diesen so genannten „Schoppenweinen“ vertreten mittlerweile Produzenten wie Wulf Schneider eine zweite Herangehensweise. Dabei überlässt man dem Apfelmost nicht sich selbst, sondern hilft der Gärung und „Weinwerdung“ durch planmäßig angewandte Methoden „auf die Sprünge“. Das beginnt schon vor der Ernte mit der so genannten „Sortenreinheit“. Es kommt also nicht alles in die Kelter, was an den Bäumen einer Streuobstwiese hängt, sondern jede Sorte Äpfel wird separat gekeltert. Später können dem gärenden Most verschiedene Hefen zugesetzt werden. Dies wirkt sich durch längere Gärung auf den Charakter des fertigen Apfelweins aus. Während der Fassreifung kann der entstehende Wein umgefüllt („abgezogen“) werden, das trennt den Wein von Feststoffen wie Fruchtreste und überschüssigen Hefen. Durch weitere Reifung in Flaschen und Zusatz von Kohlensäure entstehen Perlweine wie der „Apfel-Secco“, der bei „Apfel und Wein“ ein Verkaufsschlager ist.

Und wie sieht die Ernteprognose für die Steuobstwiesen rund um Niedernhausen in diesem Jahr aus? Die Ernte wird wohl nicht katastrophal schlecht werden, aber auch nicht sensationell gut ausfallen. Das ist nicht nur in Niedernhausen so, sondern in ganz Hessen, wie der Landesbetrieb Landwirtschaft (LLH) mitteilt. Im April hatten eigentlich zur Blütezeit gute Bedingungen geherrscht, doch direkt daran schloss sich eine lange Trockenperiode an. Auch Wulf Schneider sieht in diesem Sommer viele Bäume rund um Oberjosbach, die eine Pause einzulegen scheinen. Der Apfelbaum ist eben ein natürlicher Organismus, dessen Produktivität im nächsten Jahr schon wieder ganz anders aussehen kann!

Fest steht auf jeden Fall, dass sich der hessische Apfelwein sich in den letzten zwanzig Jahren von einer regionalen Spezialität zu einem vielschichtigen, charaktervollen Produkt gewandelt hat. Der Niedernhausener Weinmarkt an diesem Wochenende ist die ideale Gelegenheit, sich davon zu überzeugen!


Zum Weiterlesen:

"Apfel und Wein"

"Geripptes Musem" Hanau

Apfelwein Centrum Hessen e. V.

Streuobstroute Nassauer Land