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Die Spätsommer-Serie: Teil 4

Manche von uns kennen die Dorfkirchen im Taunus vor allem „aus dem Augenwinkel“ im Vorbeifahren. Manche von uns sind aktive Mitglieder in einer Kirchengemeinde und verbinden mit einer Kirche viel mehr, als nur einen optischen Fokuspunkt. Bis heute sind Kirchen in den Taunusdörfern immer noch Mittelpunkt der Gemeinschaft, und das seit Jahrhunderten! Die Kirche sieht alles, die Geschichte in ihren Höhen und Tiefen zieht an ihr vorbei. Weihnachten, Ostern und andere Feste im christlichen Jahreskalender bringen hier die Menschen zusammen. Auch für besondere Momente im Leben einzelner Menschen wird die Dorfkirche zur Bühne, wenn Taufe oder Hochzeit zu feiern sind. Der Hahn auf dem Kirchturm musste auch die traurigen und schlimmen Momente in der Geschichte unserer Heimat mit ansehen. Im kleinen, wenn ein Mensch aus dem Dorf zu Grabe getragen wurde, oder im großen, wenn Krieg oder Naturkatastrophen die Menschen plagten.

Alles das hat die Johanneskirche in Niederseelbach gesehen und erlebt! Innen wie außen trägt dieses Bauwerk Spuren einer langen Geschichte. Die Kirche liegt an einem zentralen Ort am tiefsten Punkt des „Seelbacher Grundes“. Dies ist die historische Bezeichnung für das Tal des Seelbaches und eine Gruppe von Dörfern darin: Lenzhahn, Ober- und Niederseelbach – Engenhahn und Dasbach haben auch enge historische Verbindungen zu diesen dreien. Bis ins 16. Jahrhundert gehörten zur Kirchengemeinde in Niederseelbach noch drei Dörfer, die es heute nicht mehr gibt: Wiesborn (in der Nähe des heutigen Waldhofes bei Niederseelbach), Gassenbach (am Gassenbacher Hof am Stadtrand von Idstein) und Wolfsbach (zwischen Dasbach und Idstein). Auch die evangelischen Niedernhausener mussten sich bis zur Gründung der dortigen evangelischen Gemeinde im späten 19. Jahrhundert zur „Mutterkirche“ in Niederseelbach bemühen.  Also ein echtes regionales Zentrum, lange bevor die Gemeinde Niedernhausen entstand!

Heute ist der Glaube weitestgehend Privatsache. In früheren Zeiten war die Kirchengemeinde mit dem ihr vorstehenden Pfarrer aber auch eine wichtige Verwaltungseinheit. Hier wurde über die Menschen und ihr Zusammenleben Buch geführt, der Pfarrer versuchte mehr oder weniger erfolgreich, seine „Herde“ zu gottgefälligem (=regelkonformem) Leben anzuhalten. Aus den historischen Aufzeichnungen ehemaliger Pfarrer wissen wir, dass das oft alles andere als einfach war!

Zum Teil bis ins 18. Jahrhundert hinein war es sogar noch vielerorts so, dass unter einem großen Baum neben der Kirche Gericht gehalten wurde. Die weltliche und geistliche Macht war eng verzahnt! Auch in Niederseelbach soll es einen solchen Gerichtsort gegeben haben, vielleicht unter einem hohen Baum bei der Kirche – einem Vorgänger der heutigen, etwa 200 Jahre alten Kirchenlinde! Ein weiterer Gerichtsort für ein weiteres regionales Zentrum befand sich jenseits der Grenze zum Mainzer Gebiet in Oberjosbach. (Anmerkung: Wer davon noch nicht gehört hat: Bis 1806 verlief durch die heutige Gemeinde Niedernhausen die Grenze zwischen dem Fürstentum Nassau und dem Bistum Mainz, beides unabhängige, souveräne Staaten. Oberjosbach war mainzerisch, der Rest der heutigen Gemeinde nassauisch.)

Die Niederseelbacher Johanneskirche in ihrer heutigen Form entstand um 1500 als gotische Saalkirche. Im 18. Jahrhundert wurde viel modernisiert: Die Kirche bekam ihr Dach in der heutigen Form und den markanten Aufbau des Turms, den man „welsche Haube“ nennt. Innen wurden die heute noch vorhandenen Emporen und die Kanzel eingebaut. Auch ein marmornes Taufbecken stammt aus dieser Zeit. Es wurde 1723 von Johann Theodor Müller und seiner Frau Charlotta gestiftet – die Inschrift auf dem Taufbecken hat die beiden Namen „unsterblich“ gemacht. 

Ein Taufstein im Stil des Barock aus rot-braunem Marmor



Das Spannendste an der Architektur der Kirche ist aber: Der jetzige Bau ist nicht der erste an dieser Stelle! Eine Kirche in „inferius Selbach“ wird schon um 1220 in einer schriftlichen Quelle aus dem Bistum Mainz erwähnt. Einiges weist darauf hin, dass an dieser Stelle schon sehr früh eine Kirche stand – vielleicht sogar schon zur Zeit Karls des Großen im 8. Jahrhundert, als der Taunus vom Rhein her besiedelt und die Bevölkerung zum Christentum bekehrt wurde. Darauf weist die Lage der Kirche hin: Im frühen Mittelalter entstanden oft Kirchen auf „freiem Feld“ um mehreren Dörfern dienen zu können. Der Turm der Johanneskirche ist definitiv älter als der Rest des Gebäudes, die Form der Fenster- und Türöffnungen weist auf den Stil der so genannten „Romanik“ (ca. 8. bis 13. Jahrhundert – Ausflugstipp: Besonders schöne Beispiele romanischer Baukunst gibt es im Kloster Eberbach im Rheingau zu sehen). 

Wo der Turm an das Kirchenschiff anstößt, sieht man noch den ehemaligen Zugang zum Turm mit seinem romanischen Bogen.

Der Turm ist für einen Kirchturm sehr massiv gebaut. Auch lag er vor dem Eisenbahnbau und der Begradigung des Bachlaufes in einer Schleife des Daisbachs. Gut zu verteidigen – vielleicht war dies eine Art kleine „Fluchtburg“, in die sich die Menschen der Umgebung bei feindlichen Angriffen zurückzogen. Im so genannten „Chor“ der Kirche, dem halbrunden Gebäudeteil, in dem sich der Altar befindet, haben sich weitere Spuren des früheren Kirchenbaus erhalten: Wer genau hinschaut, findet drei kleine in die Wand eingelassene Sandsteinskulpturen. Eigentlich müssten es fünf sein, es sind die Symbole für Jesus Christus und die vier Evangelisten. Erhalten sind noch ein Lamm (Jesus), ein Löwe (Markus) und ein Engel (Matthäus) – der Stier für Lukas und der Adler für Johannes existieren nicht mehr. Diese so genannten Kopfkonsolen haben einst ein gotisches Spitzbogengewölbe im Chorraum getragen.

Blick von der Seite auf eine Konsole aus rotem Sandstein, die aus einer weiß verputzten Wand ragt und ein menschliches Gesicht darstellt

Eine der noch existierenden frühgotischen Kopfkonsolen.

 

Die Kirche, als Ort wie als Institution, ist heute längst nicht mehr so zentral im Leben der Menschen wie früher. Aber sie bringt immer noch die Menschen zusammen! Davon erzählt uns Meret Lange, die uns in der Kirche herumgeführt und viel Interessantes über das Bauwerk erzählt hat. Sie ist seit vielen Jahren Mitglied im Kirchenvorstand: „Ich bin mit meiner Familie aus Südhessen nach Niederseelbach zugezogen, wir haben gegenüber der Kirche gebaut. Unsere jüngste Tochter wurde dann in der Johanneskirche getauft, da gab ein Wort das andere und so bin ich in den Kirchenvorstand ‚hineingerutscht…‘“ Also die Kirche als Ort und die Gemeinde als Gruppe von Menschen, in denen „Auswärtige“ zu Niederseelbachern werden!

Blick in den Dachstuhl eines Kirchturms

Ein Blick in den Dachstuhl des Kirchturms.


Möchten Sie sich dieses wichtige Niedernhausener Kulturdenkmal auch einmal ansehen? Die Johanneskirche Niederseelbach ist für Besucher täglich auch außerhalb der Gottesdienstzeiten geöffnet!

 

Weitere Infos zur Johanneskirche gibt es auf der Webseite der Kirchengemeinde: https://www.kirche-niederseelbach.de/

Zur Architektur der Kirche informiert das hessische Landesamt für Denkmalpflege: https://denkxweb.denkmalpflege-hessen.de/objekte/


Innenraum einer gotischen Kirche, Blick auf den Chorraum mit Altar

Innenansicht der Johanneskirche.


Steintafel mit mehreren eingravierten Namen


Im Turm wird eine Gedenktafel an die Gefallenen des deutsch-französischen Krieges 1870/71 aufbewahrt. 


Hohe, alte Linde neben einer Kirche


Gehört unbedingt dazu: Die mächtige "Kirchen-Linde"